Obstbau Pfisterer gehört zu Kirchheim wie der Messplatz. Der Hofladen im Herzen des Stadtteils ist schlicht nicht wegzudenken und das seit gefühlten Generationen. Seit zwei Jahren weht in dem ehemaligen „regional-saisonalem Gemüseladen“ ein spürbar anderer Wind. Dahinter steckt Schwiegertochter Gosia, die das Traditionsgeschäft vor zwei Jahren offiziell übernommen hat. Wer die quirrlige Polin mit dem Temperament einer Flamenco-Tänzerin schon mal erlebt hat, weiß, wovon wir sprechen. Es gibt eben manchmal Persönlichkeiten in der Stadt, die viel vor- und viel zu sagen haben. Grund genug, die Chefin am Platze mal zu befragen, wie das alles so kam, was sie vor hat und welche Herausforderung es ist, einen Traditionsbetrieb auf links zu drehen, und sich dabei selbst treu zu bleiben.

LÖFFELMETER: Gosia weißt Du um das Erbe, das Du angetreten hast?
GOSIA: „Die Pfisterers haben schon immer was verkauft. Vierzig, fünfzig Jahre – keiner weiß es genau. Am Anfang direkt neben dem Misthaufen, denn wo heute der Laden steht war damals tatsächlich der Schweine- und Kuhstall. Sie selbst sagen auch, dass sie immer etwas verkauft haben. Früher eben Kartoffeln neben dem Misthaufen, dann im Laden.“

LÖFFELMETER: Im Laden hat sich in den letzten zwei Jahren so einiges verändert. Wir ahnen, dass Du da dahintersteckst. Erzähl doch mal, wie bist du denn überhaupt in Kirchheim gelandet?
GOSIA: „Ich bin jetzt seit elf Jahren in Deutschland, kam aber schon früher als Saisonarbeiterin hierher, um so mein Studium in Polen zu finanzieren. Irgendwann bin ich geblieben.“
LÖFFELMETER: Zum Spargel stechen? (Legitime Frage hinsichtlich des Spargel-Tattoos auf Gosias Unterarm.)

GOSIA (lacht): „Nein, zum Äpfel pflücken! Zur Spargelsaison hatte ich keine Ferien. Ich war immer mal wieder da und bin dann eben irgendwann geblieben. Christian Pfisterer und ich haben uns damals verliebt und schon sehr bald war unsere Tochter unterwegs. So gesehen, war ich ja quasi gezwungen, das hier jetzt zu machen. (Lacht schon wieder). Mein Plan war ein ganz anderer: Ich habe die polnische Sprache studiert, um in der Medienbranche Fuß zu fassen. Hat wohl nicht geklappt. Am Anfang konnte ich ja auch gar kein Deutsch, musste mich auf Englisch verständlich machen. Erst nach dem ersten Kind habe ich Deutsch gelernt und dann angefangen, einmal in der Woche im Laden zu arbeiten. Da kam ich mit meinem Volkshochschul-Deutsch und dann kamen Kirchheimer. (Und ratet mal, sie lacht noch lauter!) Das war lustig. Dann stehste da, musst dich in die Kasse und „Kreschemerisch“ einarbeiten. Verstehen tue ich es jetzt, auch wenn es nicht einfach war.“

LÖFFELMETER: Das ist ja nun schon eine Weile her. Früher, wenn man das jetzt überspitzt ausdrücken möchte, gab’s im Laden Kartoffeln, Spargel, Äpfel und Erdbeeren. Jetzt sieht das ganz anders aus. Wie hast Du es geschafft, Deine Ideen einzubringen und durchzusetzen?
GOSIA: „Naja, ich war ja irgendwie schon im Laden dabei, wollte mal dies oder das dazu verkaufen oder kleinere Dinge ändern. Dann hieß es vom Schwiegervater: „So lange ich den Laden mache, kommen keine Zitronen hier rein. Kein Fleisch, kein Brot, keine Wurst!“ Damit war die Diskussion beendet, bis wir dann vor zwei Jahren den Laden übernommen haben. Ich habe damals gesagt, entweder mache ich es jetzt so, wie ich es will, oder ich mache etwas komplett anderes. Es kam, wie es kommen musste – es hat ein paar Mal richtig „gefunkelt“! (Wohl ein, wie wir finden sehr schönes polnisches Äquivalent zu „es hat richtig gescheppert!“, das wir ab sofort in unseren aktiven Sprachgebrauch übernehmen werden). Am Anfang haben sich alle kaputtgelacht, weil ich Angst hatte, die Scheiß-Zitronen zu bestellen!“
LÖFFELMETER: Bedeutet, die Zitronen waren Sinnbild für die völlige Übernahme des Ladens?
GOSIA: „Auf jeden Fall! Das war so eine Sache – ich hatte wirklich Angst wegen dieser Zitronen und habe erst Mal mit ihm gesprochen. Er sagte nur, es sei mein Laden, mach doch. Er hat dann natürlich noch ein, zwei Mal versucht, sich einzumischen. Aber ich bin Chef, ich bleibe Chef, fertig! Das gilt übrigens auch für meinen Mann. (Jetzt lachen wir!) Es ist mein Laden, ich mache es so, wie ich es will, ansonsten macht ihr es eben alleine. Das habe ich durchgezogen.“
LÖFFELMETER: Du hast ja nun in den letzten Jahren alles auf links gedreht und quasi keinen Stein auf dem anderen gelassen. Du hast das Sortiment extrem erweitert, viele hochwertige, nachhaltige Produkte dazugekauft, um regionale Feinkost ergänzt, die Firmenpolitik verändert, andere Kundschaft angezogen und wahrscheinlich auch die Umsätze optimiert. Wenn dein Schiegervater jetzt in den Laden kommt, findet er es dann, trotz der Zitronen, ein bisschen geil?
GOSIA: „Er hat mir in der Tat schon ein paar Mal gesagt, dass ich Recht hatte und wir das schon früher hätten machen sollen. Er weiß meine Ideen wohl zu schätzen und holt sich jetzt im Laden sein Bier, oder Brot, oder eben all die Dinge, die er früher nicht haben wollte. Und fertig bin ich noch lange nicht – es gibt immer noch Platz für andere, tolle Produkte. Mittlerweile bin ich aber so weit, wie ich sein wollte. Im Grunde kannst Du bei mir einen kompletten Einkauf tätigen, ohne noch in einen Supermarkt zu müssen. Außer Drogerieartikeln habe ich alles, was man auf seinem Einkaufszettel haben könnte.

LÖFFELMETER: Das stimmt wohl. Was viele nicht wissen – alle Konserven, eingekochte Spezialitäten, Kuchen, Sirups, Marmeladen im Laden machst Du alle selbst. Du hast einen Mann, einen Hund, zwei Kinder und viel vor. Wie schaffst Du das??
GOSIA: „Das geht alles! Meine Kinder leben quasi auf dem Land, spielen mit Nachbarskindern und sind glücklich, haben was weiß ich wie viele Hektar zum Toben und Spielen. Ich glaube, sie brauchen mich nicht, dass ich ihnen da hinter her renne. Ich schaffe es trotzdem, mit den beiden Hausaufgaben zu machen. Meine Mitarbeiterinnen im Laden lachen immer, wenn ich mittags kurz weg bin: „Ciao, ich habe heute Deutsch und Mathe auf!“ Ich schaffe das irgendwie immer zwischendrin. Es gibt immer Zwischenzeiten, weißt du?!“
LÖFFELMETER: Super Stichwort – denn in der Zwischenzeit hast du das Erdgeschoss des Hauses genau gegenüber des Ladens angemietet, renoviert und restauriert, um Dir einen nächsten großen Traum zu erfüllen, und noch mehr Platz für deine Ideen zu haben. Noch im November eröffnest Du das „Hofcafé Zwei.Punkt.Null“. Bei Dir geht irgendwie immer noch ein bisschen mehr, stimmt’s?
GOSIA: „Bei mir geht immer was. Eine eigene Gastronomie ist etwas, wovon ich auch immer geträumt habe. Schon als Mädchen in der Schule. Das mache ich jetzt. Schon als ich vor einem Jahr angefangen habe, selbst Kuchen zu backen, war immer die Idee, irgendwann ein Café zu eröffnen. Der Plan war einfach: die Leute davon zu überzeugen, dass es bei mir guten Kuchen gibt, damit sie dann ins Café kommen, wenn sie wissen, was sie dort erwartet. Als der Laden gegenüber dann frei wurde habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt und habe schlussendlich den Mietvertrag unterschrieben. Ich bin da rein und dachte: das ist es! Tolle große Fenster, von denen aus ich direkt in meinen Laden schauen kann, großartige Regale im hinteren Bereich, in denen ich noch mehr tolle Dinge unterbringen kann. Ich wollte eigentlich schon im Februar zu meinem Geburtstag aufmachen, dann im April, dann an Muttertag, aber es kam anders. Ich wusste nicht wirklich, was auf mich zukommt, es ist ja schließlich auch mein erstes Mal. Und dazu bin ich Perfektionistin.

GOSIA: „Ich wollte, dass einfach alles stimmt. Von der Kaffeemaschine über das perfekte Geschirr bis hin zum farblich abgestimmten Lichtschalter. Die Umbauarbeiten waren wegen Corona nicht so leicht, wie ich mir das dachte und zwischenzeitlich wollte ich schon hinschmeißen. Im Sommer dachte ich mir, „Oh Gott, was habe ich mir angetan, ich habe genug, am liebsten würde ich hier eine Bombe rein schmeißen! Lasst mich alle in Ruhe, ich will es nicht. Aber: ich hatte schon Geschirr gekauft!“ Was sollte ich machen? Das Geschirr war da, also auch Café. Jetzt mache ich auf, freue mich und bin tierisch aufgeregt. Mit meiner Freundin und rechten Hand Yasemin Akbas habe ich viel Herzblut in das Projekt gesteckt und kann es jetzt kaum erwarten.“

Wir auch nicht. Weil wir für neue Gastronomien brennen – besonders dann, wenn sagenhafte, ambitionierte, lustige Persönlichkeiten dahinterstehen. Eines ist uns klar – von Gosia hat Heidelberg noch einiges zu erwarten.